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Shadow

Die Puppenmutter

Die Liebe zum Holz wurde Judith Sotriffer schon in die Wiege gelegt.

In ihrer Werkstatt reproduziert sie die kleinen Puppendamen nach alten Vorlagen und nimmt sie, bis sie fertig sind, rund 100 Mal in die Hand.

Aus gutem Holz

Wände und Boden aus schlichtem Beton und dazwischen ganz viel Holz – sägeraue Bretter, sich lockende Späne, ein alter Schrank, hölzerne Puppen, Harlekins und Pinocchios. Wer Judith Sotriffer in ihrer Werkstatt in Sankt Ulrich im Grödnertal besucht, spürt die Kraft der Gegensätze, zwischen denen die Holzbildhauerin lebt und arbeitet.

Da wäre zum einen die Geschichte, ihre eigene und die des Handwerks. Judith ist die Tochter von Guido Sotriffer. Bei ihm, dem bekannten Bildhauer, Maler und Zeichner, stand sie schon als Kind mit großen Augen im Atelier; der harzige Duft des Holzes, das Ursprüngliche und Archaische des Materials, der schöpferische Akt – all das faszinierte Judith Sotriffer und fasziniert sie bis heute. Die Entscheidung für den Beruf fiel früh und ohne Zögern.

Die andere, prägende Geschichte in Judiths Leben ist eng mit ihrem Aufwachsen im Grödnertal verbunden. Das Tal, bekrönt von den mächtigen Gipfeln der Dolomiten, ist seit jeher beides: äußerst abgelegen und wunderbar weltoffen. Tüchtige Handwerker und findige Kaufleute suchten schon früh den Weg hinaus aus der Enge und verkauften ab dem 17. Jahrhundert Holzskulpturen und Holzspielzeug in alle Welt. Hilfreich war auch die Sprachgewandtheit der Talbewohner, die neben Deutsch und Italienisch auch Ladinisch sprachen. 1873 wurde eine eigene Schule zur Ausbildung von Holzbildhauern – das heutige Kunstlyzeum – gegründet. Noch immer gibt es in Sankt Ulrich an die hundert Holzbildhauer. In den Läden und Werkstätten findet sich die ganze Bandbreite von sakraler Kunst bis hin zu leichter Touristenkost.

Auch Judith Sotriffers Großeltern waren im Verlag von Holzspielzeug tätig, ihre Mutter führt noch heute ein Spielwarengeschäft. „Kunst und Spiel haben mich von klein auf geprägt", sagt Judith. Sie absolvierte die Lehre zur Holzbildhauerin bei ihrem Vater Guido. Er lehrte sie alles, was sie wissen musste. Und so vereint die Bildhauerin heute das Beste aus beiden Welten: In ihrer Werkstatt entstehen wunderbare Holzarbeiten, in erster Linie Puppen; allen voran die berühmte Grödner Puppe mit ihrer Alabasterhaut, ihren weißbestrumpften Beinen und dem pechschwarzem Haar.

Als Dutch Doll oder Wooden Doll ging auch sie ab dem späten 17. Jahrhundert in alle Welt, die Holländer und Engländer exportierten sie in die entlegensten Winkel des Globus. Noch heute findet man die hölzerne Spielgefährtin in Museen in Tasmanien oder in zwölffacher Zahl in der Sammlung der ehemaligen britischen Regentin Victoria. Der Handel florierte über Jahrhunderte, bis die Weltwirtschaftskrise der Produktion der Puppe im Jahr 1930 ein Ende setzte.

Seit einigen Jahren gibt es die Grödner Puppe nun wieder. Judith Sotriffer hat ihr neues Leben eingehaucht und sie kunst- und liebevoll weiterentwickelt. Vom Drechseln des Körpers bis zum finalen Bemalen liegt alles in der Hand der 52-Jährigen. Das dauert: Bis zur fertigen Puppe sind es mehr als 100 Schritte, und das unabhängig davon, ob diese nun streichholzklein oder lebensgroß ist.

Im Laufe der Zeit ist die Bildhauerin zur Fachfrau für die Dutch Doll und anderes Holzspielzeug aus Gröden geworden. Es ist die Geschichte hinter dem Objekt, die Judith Sotriffer interessiert. In alten Katalogen, in Büchern, auf Reisen oder bei Museumsbesuchen findet sie Anregungen für ihre Werke und setzt sie auf ihre eigene, von viel Fingerspitzengefühl getragene Art um.

Judith nennt die bunten, teils mit einfacher Mechanik ausgestatteten Figuren „Holzobjekte". Denn tatsächlich werden sie heute meist nicht für Kinder, sondern als Sammlerstücke gekauft. Pinocchios, Aufstehmännchen, Fatschenpuppen und Hampelmänner sind so schön und handwerklich perfekt, dass man sie sich gerne ins Haus stellt. In manchen Dingen steckt buchstäblich Geschichte, etwa in den Schachtelpuppen, die den dickbauchigen Matrjoschkas nachempfundenen sind, die russische Arbeiter im Ersten Weltkrieg beim Bau der Eisenbahn ins Grödnertal brachten.

Bevor sie zum Stemmeisen greift, recherchiert Judith Sotriffer die Geschichte zu jedem einzelnen Objekt. Es sei ein schöner Gedanke, „Dinge weiterzuentwickeln und nicht stehenzubleiben." Auch wenn sich ihre Figuren und Puppen ähneln, gibt es doch immer kleine Abweichungen im Detail. Der Schwung der Augenbraue, die in die Stirn fallende Locke – die Künstlerin entscheidet die Feinheiten spontan und mit sicherer Hand. Mit den einst in großer Stückzahl hergestellten Holzspielsachen haben Judith Sotriffers Werke oft nur den Entwurf gemein – die Ausführung ist wesentlich anspruchsvoller.

Eine schöne Abwechslung zu den Spielobjekten sind Porträts – Köpfe oder Puppen, die Judith nach lebenden Vorbildern aus Holz schnitzt. Hier braucht es neben dem handwerklichen Geschick auch eine gute Beobachtungsgabe und den Blick fürs Wesentliche. Den schärft die Bildhauerin bei ihren Streifzügen durch den Wald, einem ihrer liebsten Orte. Hier wächst auch die Zirbelkiefer, aus der sie ihre Objekte schnitzt. Ein harziger, stark verästelter Baum, dessen Holz über lange Zeit einen feinen Duft verströmt.

„Es ist doch immer die Leidenschaft, die uns antreibt", meint Judith Sotriffer zum Abschied und fegt sich die Sägespäne vom grauen Arbeitsmantel. Ein Knopfdruck und das lauten Dröhnen der Drechselbank versiegt. Jetzt hört man auch das laute Hämmern aus dem Raum nebenan. Dort arbeitet Judiths Mann Franz Canins an seinen Skulpturen aus Holz und Bronze. Hier schließt sich der Kreis und es wird klar: Gegensätze ziehen sich nicht nur an. Sie brauchen einander, damit das Unvollkommene vollkommen wird.


Autorenbox

SILVIA PFAFFENWIMMER

(*1968 in Oberösterreich) arbeitet als freiberufliche Journalistin und Autorin. Würde man sie fragen, was sie an ihrem Beruf am liebsten mag, würde sie vermutlich sagen: die Menschen. Das Neugierig-Sein, das Dazulernen, das Kein-Tag-ist-wie-der-andere. Zu ihren bevorzugten Themen gehören Porträts über Land & Leute, Natur & Architektur. Judith Sotriffer lernte sie vor Jahren im Zuge einer Recherche kennen. Und freut sich noch immer, wenn am Display ihres Telefons ein „0039" aufscheint.

www.punktundbeistrich.at

Holzpuppe
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„Jede Puppe nehme ich mehr als hundert Mal in die Hand, bis sie fertig ist.“

Holzpuppe

Die Liebe zum Holz wurde ihr schon in die Wiege gelegt.
Servus Magazin

Holzpuppe
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